Digitalisierung im Vertrieb

Wie die Einführung eines CRM Systems neue Potentiale im Vertrieb offenlegte und den Anfang der Digitalisierung markierte.

Text: Gerhard Mayr

Alle sprechen über Industrie 4.0. Gemeint ist meistens der digitale Wandel in Bezug auf Produktionsprozesse und Produkte. Neue „Cyber“-Technologien werden mit traditionellen Produktionssystemen aus der physischen Welt verknüpft. Neue Anwendungen werden geschaffen wo Maschinen den Wartungsbedarf vorhersagen bevor dieser entsteht, oder die Vernetzung der Maschinen untereinander soll den gesamten Produktionsprozess effektiver gestalten.

Diese Diskussionen über Industrie 4.0 in der Wertschöpfungskette darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Digitalisierung im B2B Geschäft noch in den Kinderschuhen steckt, oder aber positiv ausgedrückt, noch viel Entwicklungspotential hat.

Die Schnittstelle zum Kunden wird häufig vernachlässigt. So sagt man, dass beispielsweise schon fast 50% der B2B Entscheidungen in den USA von Personen, die jünger als 35 Jahre alt sind, beeinflusst werden.

Das Informations-, Kommunikations- und Beziehungsverhalten unterscheidet sich maßgeblich von dem der vorherigen Generation. Sie informieren sich lieber im Internet als persönlich beim Ansprechpartner im Vertrieb.

Die Kommunikation erfolgt über Skype, Whatsapp oder anderen Plattformern und Antworten werden beinahe zu jeder Zeit erwartet. Sie knüpfen Netzwerke und Beziehungen über Facebook, XING und LinkedIn.

Hohe Erwartungen beim B2B Einkauf kommen durch den Komfort den Sie von Online-Shopping-Plattformen wie Amazon, Zalando, etc. kennen. Dies verändert ihr berufliches Entscheidungsverhalten. Ist ein Auftrag zu vergeben sind Fragen wie „Wie einfach ist es, mit der Firma Geschäfte zu machen?“ oder „Muss ich erst monatelang auf mein Produkt warten?“ oder „Wie erreichbar ist die Firma?“ genauso wichtig wie detaillierte Produktspezifikationen.

Nun zur Situation:

Ein mittelständischer Hersteller im Großraum Stuttgart sah bereits sehr früh die Chancen in der Internationalisierung. Es setzte auf einen Mix zwischen Tochtergesellschaften und unabhängigen Distributoren. Mit der Zeit wuchs das Vertriebsnetzwerk auf über 60 Distributoren und über 500 Vertriebspartner. Das Produktportfolio wuchs über die Jahre und und so auch die adressierbaren Anwendungsgebiete.

Dem Vertriebsteam und den Distributoren fiel es zunehmend schwerer sich einen Überblick über die anstehenden und laufenden Projekte zu verschaffen. Dazu kam, dass es keinen einheitlichen Vertriebsansatz gab. Jede Tochtergesellschaft als auch jeder Distributor entwickelte einen für sich isolierten Vertriebsansatz. Dies führte zu Frustration im Vertriebsteam, aber auch beim Kunden, da die Aufträge unvorhersehbar reinkamen, sequentiell abgearbeitet wurden und lange Lieferzeiten entstanden. Der operative Teil des Unternehmens benötigte dringend verlässliche Forecast Zahlen.

Bei Übernahme des Mandats wurde eine CRM Lösung bereits in der Organisation kontrovers diskutiert. Es gab mehr Skeptiker als Befürworter. Darüber hinaus war die Kluft zwischen Vertrieb und Marketing zudem sehr groß. Bald war klar, dass die Verantwortung dieses Digitalisierungsprojekts in die Geschäftsleitung gehört.

Als Erstes galt es einen einheitlichen Vertriebsprozess zu definieren. Dazu wurden in den einzelnen Regionen Workshops abgehalten, um den aktuellen Vertriebsansatz zu dokumentieren. Das Ergebnis war zwar nicht überraschend, aber man konnte die Defizite erarbeiten und sich Schritt für Schritt einem ganzheitlicheren Prozess annähern. Dies funktionierte iterativ mit dem eigenen Vertriebsteam und mit ausgewählten Distributoren. Parallel wurde die Brücke zwischen Vertrieb und Marketing aufgebaut indem das Team aktiv in den Prozess einbezogen wurde. Denn z.b. Lead Generation und Lead Management ist nicht nur eine reine Vertriebsangelegenheit.

Nachdem der einheitliche Vertriebsprozess von allen Teams abgesegnet wurde, konnte die CRM Implementierung Fahrt aufnehmen. Die anfänglichen Gegner und Skeptiker wurden durch dieses Vorgehen zu Unterstützern des Systems.

Die ausgewählte CRM Plattform besitzt Social Exchange Funktionalitäten und läuft auch auf allen gängigen mobilen Plattformen wie Smartphones und Tablets. Das half die Kommunikation zwischen den Teams zu intensivieren, die Adaptionsgeschwindigkeit im Unternehmen zu erhöhen und sowohl die Datenqualität als auch die Forecast Genauigkeit erheblich zu verbessern. Aber es weckte auch die Kreativität der Mitarbeiter:

Nachdem das Team erlebt hat, was eine Digitalisierung alles leisten kann, wurden nach und nach weitere digitale Kanäle eröffnet. Eine neue interaktive Webseite, die auch auf mobilen Geräten sehr gut funktioniert, wurde an den Start gebracht. Augenmerk wurde daraufgelegt, die Kunden nicht mehr von der Produktseite zu adressieren, sondern von der Anwendungsseite. Zusätzlich zu gedruckten Produktinformationen werden zielgruppenspezifische Videos gedreht und sowohl auf der eigenen Homepage, aber auch im neu geschaffenen YouTube und Facebook Kanal bekannt gemacht.

Das Unternehmen wirkt nun nach außen hin moderner und attraktiver und hebt sich positiv vom Wettbewerb ab. Die Effizienz im Vertrieb wurde erhöht und die Kundenzufriedenheit entwickelte sich so positiv, dass nun auch die Distributoren und Vertriebspartner an das CRM System angeschlossen werden wollen. Vieles wurde erreicht, vieles muss noch gemacht werden. Ein denkbarer nächster Schritt wäre z.b. ein B2B-onlineshop, bei dem die Kunden nicht nur die Aufträge platzieren können, sondern auch den Bestellverlauf online verfolgen können.

Eine passende Startposition für ein Unternehmen zu finden wird schwieriger je größer die Lücke zu den Vorreitern ist. Die Unternehmen scheuen die Kosten für eine groß angelegte Transformation und die Eintrittshürden scheinen riesig. Sie wissen nicht, wie sie es anpacken sollen, und befürchten, etwas falsch zu machen. Diese Bedenken müssen beachtet werden.

Nach meiner Erfahrung ist ein klassischer Planungsansatz nicht die Methode der Wahl, vor allen Dingen, wenn die Rahmenbedingungen sehr volatil sind. Unternehmen benötigen eine an die Geschwindigkeit des digitalen Wandels angepasste Umsetzungsmethode.

Eine Möglichkeit wäre, mit kurzfristig realisierbaren Projekten die hohe Sichtbarkeit im Unternehmen haben, Erfolge zu erzielen. Außerdem ist es wichtig, dass die Aufgabe in der Geschäftsführungsebene verankert ist um die eigene Organisation für das Thema zu sensibilisieren. Der Einsatz von Interim Managern, die beispielsweise Erfahrungen aus der B2C-Welt einbringen, können dabei sehr wertvoll sein, Kompetenzengpässe im Unternehmen zu überbrücken.

Die Digitalisierung des Vertriebs ist die Grundlage für künftige Wettbewerbsvorteile im B2B-Umfeld. Die Kaufentscheidung wird zunehmend durch die Digitalisierung geprägt sein, ob das Unternehmen sich darauf einstellt oder nicht. Kunden, die für sie wichtige Informationen in der Anbahnungsphase nicht finden, werden sich möglicherweise für einen anderen Anbieter entscheiden, ohne dass man es mitbekommt. Viele Produkt- und Systemanbieter sind immer noch sehr weit entfernt von einem vollständig digitalisierten Vertrieb. Umso wichtiger ist es, Hürden zu beseitigen und mit der Implementierung loszulegen.

Wer Digitalisierung im Vertrieb startet, der braucht Agilität und Offenheit. Interim Manager bringen sehr häufig beides mit.

Gerhard Mayr

Gerhard Mayr

Gerhard Mayr Executive Interim Management und Unternehmensberatung

Gerhard Mayr ist DDIM-Mitglied. Als Ingenieur für Nachrichtentechnik und einem technisch-kaufmännischen Kompetenz-Mix sammelte er in den letzten 27 Jahren internationale Erfahrung in den Bereichen B2B, B2C und E-Commerce – meistens als Geschäftsführer oder Bereichsleiter – mit Spaß an Vielseitigkeit, Abwechslung und interessanten Technologien. Seine Leidenschaften sind Vertrieb, Marketing und Change Management.

Gerhard Mayr Executive Interim Management und
Unternehmensberatung
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