Fachbeitrag von DDIM-Mitglied Dr. Eberhard Müller

Potentiale des modernen Einkaufs nutzen

Für produzierende Unternehmen ist der Einkauf mit bis zu 80 Prozent Umsatzanteil der zentrale Bereich, um profitabel und wettbewerbsfähig zu sein. „Im Einkauf liegt der Gewinn“, so ein bekanntes Sprichwort. Dies gilt umso mehr, wenn Verkaufspreise sinken und Einkaufspreise steigen. Mehrfach habe ich bei produzierenden Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, des Maschinenbaus, der Chemieindustrie, der Elektrik/Elektronikindustrie sowie der Wind- und Solarindustrie die Potenziale der Beschaffung identifiziert und umgesetzt, so dass erhebliche Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich erreicht wurden. Damit einher ging auch stets die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Meine Kunden waren mittelständische Global-Player als auch Konzerne mit mehreren Milliarden Euro Umsatz und ganz unterschiedlichen Unternehmenskulturen.

Maßgeblich für den Erfolg war die Analyse des Einkaufes mit sechs spezifischen Elementen in der Wertschöpfungskette mit der sich anschließenden Modernisierung. Dabei werden Unternehmensstrategie, Governance, Produktlebenszyklus sowie Wertschöpfungsketten und -Strukturen von Lieferanten und Kunden berücksichtigt. Folgende Übersicht zeigt die Zusammenhänge auf.

Allgemein gesagt: Analyse, Konzeption und Umsetzung des modernen Einkaufs unter Fokussierung auf die sechs Elemente ist stets unternehmensspezifisch anzupassen. Je nach Ausgangszustand und Warengruppe kann ein Unternehmen zwischen 10% und 60% Preissenkung erzielen, ohne dass die Qualität oder die Lieferperformance sinkt – im Gegenteil – diese wird gleichzeitig besser.

Dabei ist die gesamtheitliche Betrachtung über alle Funktionen und Tochtergesellschaften des Unternehmens gepaart mit dem Denken in Produktlebenszyklen zielführend. Denn so wird gleichzeitig Nachhaltigkeit erreicht.

Bislang hat der höhere Wettbewerbsdruck Unternehmen kurzfristig motiviert, sich der Beschaffungsfunktion anzunehmen, um profitabel zu bleiben. Beispielsweise sind bei einem Tier 2-3 Automobilzulieferer während der Weltwirtschaftskrise die Verkaufspreise um mehr als 50% eingebrochen, dies bei gleichzeitig hohen Abnahmeverpflichtungen von Material zu hohen Preisen. Durch mutige Verhandlungen und Nutzung des Wettbewerbs unter den Lieferanten konnte das Unternehmen noch knapp profitabel arbeiten und nach der Krise schnell die ursprüngliche Profitabilität übertreffen.

In der Windindustrie sind 2010 die Verkaufspreise ebenfalls um 25% eingebrochen, nachdem die staatlichen Subventionen zurückgenommen wurden und die Wirtschaftlichkeit von Anlagen aus Investorensicht im 20- Jahreszeitraum das Entscheidungskriterium wurde. Dies führte zu neuen Anlagenentwicklungen, bei denen die Optimierung des Windertrags bei gleichzeitig niedrigen TCO (Total Cost of Ownership) zum Entwicklungsziel wurde. Die theoretische Nennleistung wurde sekundär. Viele Hersteller im Windbereich haben ihre Fertigung outgesourced und die Zusammenarbeit mit Systemlieferanten unter Ausnutzung von Marktstandards intensiviert. Dabei war das Zusammenspiel zwischen Technik, Einkauf, Supply Chain, Produktion und Qualitätsmanagement essentiell. Die eigenen Fertigungsbereiche wurden auf „Lean Production“ umgestellt. Dadurch konnte die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. Zurzeit führt der Wettbewerbsdruck erneut zu sprunghaft hohen Anforderungen an die Hersteller, so dass weitere Potenziale identifiziert und umgesetzt werden müssen.

Man kann jedoch den Bereich Einkauf auch proaktiv angehen, um die Profitabilität deutlich zu steigern und sich in Verbindung mit Supply Chain Management zu einem schlanken Unternehmen mit modernem Wertschöpfungsketten-Management weiter zu entwickeln. Ziel sollte es dabei sein, die Funktion Einkauf in ein waches, schlankes und agiles Einkaufsnetzwerk, das mit allen internen und externen Wertschöpfungspartnern im Sinne von „Collaborative Management“ kooperiert, zu transformieren. Dies stellt mit Sicherheit neue Anforderungen an Mitarbeiter und erfordert zusätzliche Qualifikationen. Werden Verschwendungen eliminiert, Prozesse verschlankt und Potenziale aus der Digitalisierung genutzt, können weniger Mitarbeiter mit höherer Qualifikation ein besseres Ergebnis erreichen.

Falls in Ihrem Unternehmen Facetten des modernen Einkaufs fehlen, Sie Ihren Einkauf zu einem Netzwerk transformieren wollen oder Sie die Digitalisierung im Einkauf – oder generell im Unternehmen – nutzen wollen, sprechen Sie mich an.

Selbstcheck: Betreiben Sie „modernen Einkauf“?

Einkaufsmodernisierung mit sechs spezifischen Elementen in der Wertschöpfungskette unter Berücksichtigung von Unternehmensstrategie, Governance, Produktlebenszyklus sowie der Wertschöpfungsketten und -Strukturen von Lieferanten und Kunden.

  1. Positionierung des Einkaufs im Unternehmen (intern)
  • Wann wird der Einkauf in eine Beschaffung eingebunden? Von Anfang an oder erst, wenn alles festgelegt ist?
  • Kommt es vor, dass am Einkauf vorbei beschafft wird („Maverick Buying“)?
  • Werden Bedarfe und Spezifikationen funktions- und länderübergreifend abgestimmt und gemeinsam entschieden? Oder entscheiden die Technik bzw. die Anforderer alleine und der Einkauf ist nur „Erfüllungsgehilfe“?
  • Gibt es Teams zu wichtigen Materialgruppen, in denen die wichtigsten Funktionen und/oder Tochtergesellschaften vertreten sind?
  1. Grundaufstellung des Einkaufs
  • Ist der Einkauf nach Beschaffungsmärkten gegliedert mit klaren Zuständigkeiten für Beschaffungsmärkte – oder ist er nur nach Lieferanten aufgestellt, so dass eine Anfrage bei mehreren Lieferanten zwei Einkäufer beschäftigt?
  • Gibt es unternehmensweit weltweit einheitliche Warengruppen?
  • Gibt es die Rolle „Key Supplier Manager“, die die Aufgabe hat, die Lieferanten zu höherer Performance zu motivieren, auch über die Materialgruppe bzw. das Produkt hinaus wie z.B. Qualitätsmanagement/Null Fehler Ansatz, Supply Chain und Logistik-Fähigkeiten, Ersatzteilversorgung, Stammdatenmanagement, elektronische Vernetzung via EDI, Marktplätze, etc.?
  • Wo stehen direkter und indirekter Einkauf vor diesen Zusammenhängen?
  • Ist der Einkauf als Zentraleinkauf im Unternehmen verankert – oder dezentral (Jede Tochtergesellschaft hat ihren eigenen Einkauf) oder eine koordiniert dezentrale Lösung im Sinne eines weltweiten Einkaufnetzwerkes?
  1. Strategie-Set pro Warengruppe
  • Auf welcher Stufe werden die Bedarfe des Unternehmens koordiniert? Global, regional (z.B. EU/EMEA, Asien, NAFTA, Südamerika), national, lokal?
  • Welche Strategie soll für das jeweilige Beschaffungs- bzw. Subsegment angewendet werden? Dabei ist die Bündelung der Bedarfe in der Unternehmensgruppe eine Grundstrategie, gefolgt von Erhöhung des Wettbewerbs durch Aufbau neuer Lieferanten bzw. Reduktion der Lieferantenanzahl mit dann höheren Bedarfen pro Lieferant, Standardisierung des eigenen Produktes bzw. Nutzen von Marktstandards sowie weitere Strategien.
  • Mit welchem SCM-Ansatz wird die Materialversorgung in der jeweiligen Materialgruppe wirtschaftlich gesichert? (KANBAN, VMI, Rahmen-Vertrag/Abruf, …)
  • Wie intensiv ist die Zusammenarbeit mit den Lieferanten?
  • Handelt es sich um einen Entwicklungspartner, der exklusiv (single source) hochwertige und Know-how-intensive Systemkomponenten entwickelt und produziert? Dann wird diese Geschäftsbeziehung sicher für 5-10 Jahre angelegt sein, insbesondere wenn man den Produktlebenszyklus des Produktes mit seinen Wartungs- und Ersatzteilbedarfen berücksichtigt. Systemlieferanten für Komponenten sind über 2-5 Jahre zu betrachten, Commodity-Lieferanten zwischen 3-12 Monaten. Dementsprechend sind das Lieferantenmanagement und die notwendigen Produktivitätssteigerungen zu organisieren.
  1. Prozesse / eProcurement
  • Wenn der Einkauf von Anfang an eingebunden ist, bringt er seine Kenntnisse über Beschaffungsmärkte bzw. -segmente weltweit ein, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern?
  • Werden Ausschreibungen erst dann durchgeführt, wenn sich das Beschaffungsteam über die Vergabekriterien geeinigt hat?
  • Sind die Vergabekriterien ohne Kenntnis der Angebote festgelegt worden, um Nachjustierungen und nicht nachvollziehbare Vergabeentscheidungen zu vermeiden? Mit einem nachvollziehbaren Bonus-/Malus-Zuschlag pro Lieferant lassen sich im Vorfeld z.B. auch die Erfahrungen in der Zusammenarbeit bewerten.
  • Wird bei größeren Beschaffungsvorgängen das Sealed Bid-Verfahren (Trennung technische Informationen von kaufmännischen in 2 getrennten, versiegelten Umschlägen) eingesetzt?
  • Wird eProcurement genutzt, um nicht wertschöpfende Tätigkeiten im Einkauf und in übrigen Bereichen des Unternehmens zu eliminieren? Das Ganze beginnt mit der elektronischen Ausschreibung auf einem elektronischen Marktplatz – mit oder ohne eAuction zur Preisermittlung (Automatisierte Verhandlung). Dann folgt die Übermittlung von allen Daten und Dokumenten, die zum „Order-to-cash“-Prozess eines Lieferanten gehören, über EDI oder elektronische Marktplätze, z.B. Bestellung, Auftragsbestätigung, Bestelländerung, Lieferavis, Lieferschein, Rechnung und Bezahlung.
  • Wie wird die Lieferantenbewertung durchgeführt?
  • Ist der Ansatz funktions- und länderübergreifend?
  • Sind die Beurteilungskriterien im Unternehmen standardisiert?
  • Werden die Ergebnisse systematisch genutzt, um die Lieferanten zu höheren Leistungen zu bringen?
  • Werden regelmäßige Lieferantenaudits durchgeführt?
  • Werden jährliche Produktivitätssteigerungen eingefordert? Werden diese auch erreicht?
  1. MA-Zuordnung zu Beschaffungsmarktsegmenten sowie Qualifikationen der Einkaufs-MA
  • Wer ist für den strategischen Einkauf, wer für den operativen Einkauf geeignet?
  • Wer kümmert sich um welche Warengruppe bzw. welches Sourcing-Team?
  • Verfügen die Mitarbeiter über die Qualifikation, die sie für die strategische Bearbeitung der Warengruppe bzw. den operativen Ablauf benötigen? Sprechen sie z.B. bei globalen Beschaffungsmärkten verhandlungssicher Englisch? Sind sie stresssicher im Alltagsgeschäft?
  • Bei hohem Potenzial, hoher Motivation und fehlender Qualifikation ist die Lücke über Qualifikationsmaßnahmen zu schließen, um Leistungsträger weiterzubilden und weiterzuentwickeln.
  1. Einkaufscontrolling und Forecasting
  • Werden Einkaufscontrolling und Forecasting genutzt, um eine Erfolgskontrolle der umgesetzten Strategien durchzuführen?
  • Fließen die Beiträge der Beschaffungsteams in die Business-Planung ein?
  • Werden die geplanten Beiträge auch erreicht bzw. übertroffen?

Autor

Dr.-Ing. Eberhard Müller

Heinrich-Delp-Str. 194
64297 Darmstadt
Tel.: +49 (0)178 430 1814
e.mueller@dr-mueller-interim.de
www.dr-mueller-interim.de

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Dr. Eberhard Müller ist Executive Interim Manager mit unternehmerischem Profil und internationaler Erfahrung bei mittelständischen Global-Playern und Konzernen. Er ist als Spezialist in den Bereichen Einkauf, Supply Chain Management/Logistik und Digitalisierung/Industrie 4.0 tätig sowie als Generalist in den Bereichen Geschäftsführung, Restrukturierung und Change- / Transformationsprojekte aktiv.

Komprimiertes Berufsbild:

  • Executive Interim Manager mit unternehmerischem Profil
  • Internationale Erfahrung im Großkonzern und bei mittelständischen Global Playern
  • Geschäftsführung, Restrukturierung, Einkauf, Supply Chain Management, Logistik
  • Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Elektronik, Renewables (Wind & Solar), Prozessindustrie, Gesundheitsbranche/ Fachhandel
  • Erfahrungen im Seriengeschäft als auch Projektgeschäft

Meine Wertbeiträge:

  • Profitabilität verbessern
  • Starkes Wachstum nachhaltig umsetzen
  • Strategie & Geschäftsmodell weiterentwickeln
  • Einkauf optimieren
  • Supply Chain Management & Logistik voranbringen
  • Potentiale von Digitalisierung und Industrie 4.0 nutzen