Brennpunkt Lebensmittelsicherheit

Wie digitale Vernetzung die Lebensmittelsicherheit und -industrie auf eine neue Stufe heben kann

von Götz Dittmar

Götz Dittmar verfügt als Interim Manager über mehrjährige Führungserfahrung in den Bereichen technische Entwicklung (CTO), Projektmanagement (PMO) und Vertrieb (CSO) von erklärungsbedürftigen Investitionsgütern. Weitere Schwerpunkte sind Vertrags- und Ausschreibungsmanagement in Kombination mit Finanzierungsfragen.

Erfolg hat drei Buchstaben – TUN

 

Herkunft und Qualität von Lebensmittel sind für Verbraucher in der heutigen Zeit bedeutende Kriterien für die Auswahl von Lebensmitteln. Ob Bioprodukte oder die klassische industrielle Herstellung von Lebensmitteln, Transparenz in der Herstellungskette spielt in den Augen der Kunden eine immer größer werdende Rolle.

Bereits heute garantiert eine ausgereifte Technik sowie Prozessüberwachung bei der Herstellung eine hohe Zuverlässigkeit in der Güte von Lebensmittelprodukten.

Kann durch das digitale Zeitalter dieser hohe Standard noch weiter gesteigert werden?

Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus noch größerer Transparenz für die Hersteller, Handelspartner und Verbraucher.

Wie kann die Digitalisierung mit Ihren Megatrends mobiles Internet, künstliche Intelligenz und Internet of Things die Lebensmittelindustrie und Sicherheit unterstützen?

Die bessere Vernetzung von Verbrauchern im täglichen Alltag durch Mobilgeräte, Wearables der neuen Generation, intelligente Haushaltgeräte und Lieferservices führt zu einem besseren Bild über Bedarfe und Verhaltensmustern von Verbrauchern beim Kauf und Verbrauch von Lebensmitteln aller Art. Koppelt man dies z.B. mit Wettervorhersagen und jahreszeitlichen Ereignissen können Bedarfe, benötigte Lagerbestände und Lieferengpässe besser erkannt, Logistikketten optimiert werden. Selbstlernende Algorithmen optimieren diesen Prozess für eine Vielzahl von Waren, wobei hier eine gewisse Unschärfe weiterhin vorhanden sein wird. Der Spontankauf mit einem ausreichenden Lebensmittelangebot wird weiterhin möglich sein, lokale Märkte regeln sich selbst. Frische und Qualität der Lebensmittel gewinnt eine neue Dimension. Lebensmittel beim Endkunden werden bewertet, entweder durch Menschen oder intelligente Kühlschränke, Lebensmittelfächer Mobilgeräte oder…. Eine Art von Total Quality Management entsteht, das sowohl Verbrauchern zu Gute kommt wie auch Herstellern und Logistikern. Der Kunde erhält ausreichend frische Ware mit einem guten Qualitätsstandard, Hersteller und Logistiker bekommen einen besseren Überblick über die tatsächlichen Bedarfe von Lebensmitteln und deren Qualität beim Verbraucher. Die klassische Lagerhaltung und die damit verbundene Haltbarmachung von Lebensmitteln könnte deutlich reduziert werden. Fair Trade bekommt eine immer größer werdende Bedeutung zu. Der Verbraucher rückt näher an den Hersteller ran und umgekehrt. Schon heute sind ähnliche Prozessoptimierungen im bewährten Einsatz. In der Luftfahrt etwa steuern Buchungscomputer Angebot und Nachfrage bei einzelnen Flugverbindungen, mit dem Effekt ggf. einer Überbuchung. Wer hat dies nicht schon einmal erlebt.

Im Lebensmittelbereich könnte dies bedeuten, dass ein Lebensmittel nicht verfügbar wäre bei meiner Bezugsquelle, einem Laden oder einem Onlineshop. Welche Hilfe und Service wäre es dann, wenn über eine digitale Vernetzung der Konsument eine Information erhalten würde, wo das benötigte Lebensmittel noch verfügbar wäre, ggf. mit der Möglichkeit einer Reservierung oder Lieferung direkt nach Hause oder einem Lieferort (z.B. der Kofferraum des abgestellten Autos, eine Packstation, Abholfächern in Bahnhöfen, U-Bahnstationen, oder, oder …). Lebensmittelströme könnten dadurch effektiver gesteuert werden, Ware verdirbt nicht mehr in dem heutigen Maße. Zeit und Verkehrsressourcen könnten geschont werden. Das wäre ein Betrag für den Umweltschutz und foodprint auf unserem Planeten.

Nachhaltigkeit in Bezug auf die Herstellung von Lebensmitteln, Schonung von Ressourcen unseres Planeten, das immer weiter aufkommende Food Sharing sind Themenfeldern, denen sich die „Lebensmittelindustrie 4.0“ stellen muss und wird.

Die aktuelle Heuse-Umfrage 2018 belegt die Einschätzung zur Bedeutung der Digitalisierung unter den Interim-Managern insofern, dass der „Food“-Bereich noch vor Automotive und weiteren Investitionsgüterbranchen in dieser Bewertung liegt. Bezogen auf den Druck zum Geschäftsmodellwechsel in den nächsten 5 Jahren rangiert hinter den Banken, Versicherungen & Co. bereits die Food-Branche. Die großen Versandhändler, Warenhausketten und Onlineshops lassen grüßen.

Bremsen Fragen der Datensicherheit und möglicherweise hohe Investitionskosten den Trend aus?

Der diesjährige Facebook-Skandal zeigt deutlich auf, was mit Daten und deren Vermarktung alles passieren kann, welche Macht Daten im jetzt anbrechenden digitalen Zeitalter haben und noch haben werden. Die neue Währung heißt „DATEN“. Mit ihr werden Kunden wie Hersteller und Händler in Zukunft „zahlen“, Währungen verlieren an Bedeutung.

Wie können diese Daten geschützt werden, welches Recht hat jeder einzelne Mensch über seine Daten und deren Verwendung. Darf und muss das Netz „vergessen“ können. Können womöglich Krankenkassen in Zukunft Einblick über unser Lebensmittelverhalten bekommen, Tarife anpassen und Menschen für Ihre Essgewohnheiten belohnen oder bestrafen?

Die neue DSGVO schützt Verbraucher und Nutzer von Internetdiensten in einem gewissen Maß vor unberechtigtem Abfischen von Daten und Korrelationen von Daten. Wer jedoch weiterhin auf großen Anbieterportalen dabei sein will, wird zwangsläufig wieder die Kontrolle über einen Teil seiner Daten verlieren, durch deren AGBs.

„Technologie Ethik“ wird somit unser ständiger Begleiter für Hersteller – Händler – Verbraucher in solchen Fragen sein.

Egal wie jeder einzelne sich entscheiden wird, Lebensmittel-Portale werden Trends setzen und Marktmacht entwickeln, und dies mit wenig Investitionskosten in Produktion/Herstellung und Logistik.

International und überregional aufgestellte Hersteller und Logistiker werden gezwungen transparent Daten austauschen und dies ggf. in Echtzeit, wollen sie im Konzert der Lebensmittelbranche weiter erfolgreich sein. Disruptoren werden die über Jahrzehnte vorhandene „Welt“ der Lebensmittelbranche angreifen und herausfordern. Hello Fresh, Bringmeister, Rewe-Lieferservice… sind hier nur der Anfang eines sich neu entwickelnden Businessmodells in den nächsten Jahren.

Der Erfolg dieser neuen Geschäftsmodelle wird jedoch maßgeblich auch davon abhängen, wie gut Lebensmittelsicherheit und damit die Qualität sowie Frische der Produkte gewährleistet wird. Und hier kommt TQM, die digitale Vernetzung und die Block Chain Technologie ins Spiel und werden ihre Stärken ausspielen.

Welchen Nutzen haben Hersteller, Händler und Endkunden von einer transparenten digitalen Vernetzung?

Für den Endkunden und Verbraucher böten sich neue Möglichkeiten in der Auswahl von Lebensmitteln, insbesondere im Hinblick auf Ernährungs- und Gesundheitsfragen.

Der tägliche Einkauf könnte u.a. auf den Kalorienbedarf, den Zuckergehalt für Diabetiker ausgerichtet werden. Zusätzlich benötigte Nahrungsergänzungsmittel für eine optimale Ernährung finden bei Bedarf Berücksichtigung. Smart Devices helfen bei der Auswahl der Lebensmittel mit, zeigen zusätzlich Unverträglichkeiten im ausgewählten Lebensmittel auf und weisen bereits im Laden auf ggf. nicht vorhandene Kühlkapazitäten hin. Einkäufe könnten bereits im Vorfeld in Teilen kommissioniert werden (z.B. der immer gleiche Grundbedarf), Zusatzwünsche werden individuell ausgesucht und zügig mit dem Resteinkauf per App oder Smart Device bezahlt. Selbst das Bargeld kann entfallen. Lange Schlangen an Kassen wären passe.

Oder man geht klassisch wie eh und je in den Laden und wird sich in Zukunft wundern, warum man als Exot angesehen wird.

Hersteller und Händler bekämen einen noch besseren Einblick in die aktuellen Warenströme, das saisonale Kaufverhalten der Verbraucher und hätten ihrerseits die Möglichkeit das Angebot/Nachfrage in bestimmten Grenzen zu steuern. Die ständige Ermittlung der Reifgrade von Lebensmitteln z.B.  auf Feldern und Plantagen ermöglicht es dann Aussagen über Webportale zu machen, wann bestimmte Waren verfügbar wären. Sogar eine Optimierung von Lieferwegen ist denkbar. Die Kombination von Funktionen und Informationen aus Supply Chain, Gesundheitsvorsorge, Marketing … wird eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten generieren.

Können Lebensmittel in der Zukunft besser bedarfsgerecht hergestellt werden und die Vernichtung von Lebensmittel vorgebeugt werden?

Jedes Jahr werden 30 % bis 50% der weltweit hergestellten Lebensmittel entsorgt. Angesichts des weltweiten Hungers und der Folgen der Überproduktion für die Umwelt sind solche Zahlen für viele Menschen schwer nachzuvollziehen. Eine Vernetzung der Supply Chain könnte hier eine deutliche Verbesserung bringen und einen guten Beitrag für das „gute Gewissen“ bringen.

„Denkende“ Kühlschränke bestellen entnommene Lebensmittel autonom nach, lernen den Verbrauch des Nutzers immer besser einzuschätzen und optimieren den Bedarf und damit die Frische von Lebensmitteln. Der Verbraucher kann sich am heimischen Kühlschrank oder Smart Device bei Bedarf den Herstellungsprozess sowie die Lieferkette anzeigen lassen, Lebensmittel einer Bewertung unterziehen und somit einen Beitrag zur Qualitätssicherung und Verbesserung geben. Zusätzliche Wünsche werden mit dem Smart Device des Verbrauchers zu gebucht, der Kühlschrank zeigt dabei auf, wieviel Kapazität für die zu kühlende Ware noch zur Verfügung steht. Und das in Echtzeit. Ein Schritt hin zu den Megatrends KI, IoT und mobilem Internet. Die Einzelhändler spielen bei der „Grundversorgung“ immer weniger eine Rolle, Logistiker nehmen diesen Platz ein. Oder der Einzelhändler vor Ort wird zum Logistiker. Der Lieferservice u.a. von REWE und anderen Einzelhandelsketten sind ein erster Schritt dahin.

 

FAZIT

 

Die Lebensmittelbranche wird in den nächsten Jahren einen deutlichen Umbruch durch die Digitalisierung erleben, wie es bereits u.a. die Musik- und Hotelbranche erlebt bzw. durchlebt hat. Alte Player und Geschäftsmodelle werden vom Markt verschwinden, neue bisher nicht bekannte Player aus anderen Branchensegmenten drängen in den boomenden lukrativen Lebensmittelmarkt.

Ob es dabei zu einer weiteren Verbesserung der Lebensmittelqualität kommen wird oder wir mit Einbußen im erstem Schritt rechnen müssen, wird im wesentlich an der Marktmacht der Verbraucher sowie der Regulierungsbehörden hängen. Beide Marktplayer haben hier mehr als in der Vergangenheit dynamischer auf Veränderungen zu reagieren.